14
Aug
2008

Gedanken über das Sterben und den Tod - der Versuch einer Antwort an Hoshi

Sparte: Privat

Eigentlich sollte es nur eine Antwort zu Hoshis Posting bei mir werden...

Es (der Tod, das Sterben, die "End-Pflege" etc. pp.) ist ja auch eine Sache, die von der Gesellschaft weitgehend tabuisiert wird - und auf das Thema "Sterbehilfe", ob nun aktiv oder passiv, möchte ich gar nicht weiter eingehen. Es ist auch weniger der Tod an sich - mit dem kann man umgehen, man findet, nein, man schließt irgendwann seinen Frieden mit dieser Tatsache, sei es durch Religion, eigenes Erleben, eigene Überegungen/Wahrnehmungen. Insofern bin ich mir sicher, dass der Begriff "Erlösung" als "Erlösung aus dem irdischen Jammertal" auch im nicht-biblischen Sinn durchaus seine Berechtigung hat!

Es hat jeder Kulturkreis seine Form gefunden damit umzugehen: Die schwarze Trauer in unseren Breiten - weiß gehen die Inder, der an Voodoo erinnernde Totenkult Haitiis, die Schädelverehrung in Neu-Guinea... Es sind aber alles nur "Hilfsmittel", um letztendlich den Hinterbliebenen den Abschied zu erleichtern - gut, es ist auch eine (ideologische/ideelle) Vorbereitung auf das, was uns "hinter dem Tor" erwarten mag, aber das ist ein Geheimnis, welches kein Lebender zu ergründen vermag und das die, die davon "gekostet" haben, von Grund auf zu ändern vermag!

Der Kulminationspunkt ist doch eigentlich der: "Was bleibt wenn es vorbei ist?" Und genau betrachtet ist die "geheime Frage", die sich dahinter verbirgt, bei dem Einzelnen: "Was bleibt von MIR, wenn es bei MIR soweit ist?" Und mancher mag sich vor der Weiterführung dieser Frage fürchten: "Hatte mein Leben einen Sinn? Gibt es überhaupt einen "Sinn des Lebens" wenn am Ende der Tod steht?" Daraus resultiert die Sehnsucht des Menschen nach etwas NACH dem "Durchschreiten der letzten Pforte", der Wunsch, sie möge die "erste Pforte" auf einem neuen Weg sein: das Paradies, die Wiedergeburt, die "Kraft" ... die Natur.

Man kann noch so oft mit dem Tod in mancher Variation konfrontiert worden sein - man gewöhnt sich nie daran! Und selbst wenn man sich um Professionalität bemüht gelingt es nicht immer, das eigene (Mit-) Gefühl, dieses "Nahe-Gehen" auszuschalten. Ich kenne Pathologen mit Alkoholproblemen... Und man muß mehr als ein großes Herz haben und ein lebensbejahender Mensch sein um als "Sterbebegleiter" für Menschen ohne Angehörige da zu sein. Ich bin sehr froh, Schwester Rathilde vom "Mutter-Theresa-Haus" in Chemnitz vor vielen Jahren kennen gelernt zu haben, auch wenn ich damals den ganzen Kreis der Thematik nicht überblicken konnte! Eine Erkenntnis, die mir damals erst dämmerte und die mir heute zu Bewußtsein kommt: Man kann die entsprechende Literatur lesen/lesen müssen, man kennt die "professionellen Sätze" die gesprochen werden von den Berufsmäßigen (Pflegekräfte, Ärzte, Polizei, Pro-Sektur...) - aber erst wenn man sie selbst gesagt bekommt merkt man, wie hohl sie bei allen klugen Überlegungen dahinter doch eigentlich sind! Dann schon lieber allein sein und sich nicht zu irgend etwas zwingen MüSSEN, sondern seine Gefühle erkennen, zulassen ... leben. Das reinigt und hilft! (Damit verschließe ich mich nicht vor der Hand von Freunden, einer ehrlicher Berührung... auch wärmende wenn auch schweigende Nähe... Die Sehnsucht danach läßt einen nicht los -

Hoshi, Du hattest Deinen Sohn, für den Du da sein mußtest! "Sandhexe" pflegt Vormittags ihre Mutter und ist nachmittags selbst Ehefrau und Mutter... So hat man eine Aufgabe, die einem schier übermächtig erscheint - die einen aber ins Leben zwingt wenn man am (Ver-) Zweifeln ist. Und um den Bogen zu schließen im Blick auf die unterschiedlichen Kulturkreise: Wer weiß, ob wir mit unserer "Zivilisation", die uns doch auch in eine persönliche Isolation treibt (Das "Weltgetriebe" wird immer hektischer, es ist immer mehr in immer weniger Zeit zu tun... Zeit für Freunde & Familie? "Stiehl mir nicht die Zeit!" --> Mir gefällt das Wort "Ent-Schleunigung" als Gegenteil zur "Be-Schleunigung", als Zeit für Besinnung, für das innere und äußere "Rasten", für die "Zeit zum Erkennen was wirklich wichtig ist"), wer weiß also, ob unsere "Zivilisation", diese gepriesene, tatsächlich auch die "Bessere" ist?

Mein Vater ist fast genau vor 13 Jahren verstorben, ich mußte Mutsch die Nachricht überbringen. Die Trauer hat sich gewandelt, sie ist im Inneren zu Hause, ist nicht vergessen, ist immer noch präsent - aber sie dominiert nicht mehr das Leben! Oft denke ich noch: "Das mußt Du erzählen/zeigen wenn er heute heimkommt!" oder man sieht ihn auf der Strasse oder hört seine Stimme. Und das ist vielleicht das Wichtigste, was bleibt: Das Weiterleben im Herzen der Menschen, die uns lieben und achten!


* * * * * * * * * * *

sandhexe - 14. Aug, 14:22

Was am Ende bleibt ist die Liebe. In Liebe sehen wir den Menschen, der lange mit uns war. In Liebe können wir ihn gehen lassen.
Der Sinn des Lebens ist für mich auch die Liebe. Sie unterscheidet den Menschen vom Tier. Liebe die man empfängt oder verschenkt macht das Leben lebenswert. Aus Liebe sind wir entstanden, in Liebe solten wir gehen dürfen.
Ich wünsche dir lieber Maik ganz viel Kraft und der lieben Mutsch das, was für sie das Beste ist.

Waldschratt - 14. Aug, 16:01

Laß' uns gegenseitig Kraft wünschen und geben, liebe Lizz! *dir die hand reiche*
Hoshi - 14. Aug, 14:58

Meine Gedanken zum Thema

"Man kann noch so oft mit dem Tod in mancher Variation konfrontiert worden sein - man gewöhnt sich nie daran!"

Ja, so ist es wohl. Ich bin ja nun auch schon "etwas" älter mit meinen 49 Jahren. Viele Menschen erreichen dieses Alter nicht einmal. Krankheiten, Unfälle oder gar Schlimmeres wie zum Beispiel Freitod habe ich erlebt! Flapsig würde ich mal sagen... so lange der Tod in Mode ist, ist das Leben lebensgefährlich! Ernst ausgedrückt meine ich damit... der Tod, die Endlichkeit des Lebens eines Menschen ist so individuell wie das Leben jedes Einzelnen von ihnen! Ein plötzlicher Tod reisst das Umfeld oft in tiefe Verzweiflung, während "die Erlösung" nach einer langen Krankheit nicht nur dem Leiden des Betroffenen ein Ende setzt, sondern auch dem der Familie und der Freunde, abgesehen von der Trauer, dem Mitleid mit sich selbst, weil eben der geliebte Mensch nicht mehr greifbar ist.

Und das ist vielleicht das Wichtigste, was bleibt: Das Weiterleben im Herzen der Menschen, die uns lieben und achten!

Ich finde wichtig, dass ein Mensch mit Würde abtreten kann. Dass man ihn begleitet, ihm im letzten Moment nicht allein läßt, ihm die Hand hält und ihm versichert, dass man zwar traurig sein wird, aber dass man ihn im Herzen behalten wird. Ich habe meiner Mutter ein paar Tage vor ihrem Tod versichert, dass wir es schaffen werden... dass sie loslassen kann. Ich habe ihr versprochen, dass ich mich um meinen kleinen Bruder (damals 18) kümmern werde. Ich habe ihr ausserdem versprochen, dass ich ihrem Enkelkind viel über sie erzählen werde. Wir lachen heute noch häufig über einige Anekdoten, denn meine Mutter war eine warmherzige und witzige Frau... in vielen Situationen ein kleiner Chaot, wie ihre Tochter ;) Wie nah sie dem Ende war, konnte ich nicht wissen, denn ihr schleichender Tod dauerte schon sehr, sehr lange zwei Jahre! Trotzdem war dieses Gespräch so etwas wie ein Abschied! Und ich bin heute noch froh, dass wir nicht so getan haben als ob nichts wäre. Sie wusste, dass sie dieses Drama nicht überleben wird. Und sie wusste, dass wir es wissen! Wie und ob ich den Tod ertrage hängt natürlich davon ab, wie nah mir jemand steht! Klar... das ergeht wohl jedem von Euch auch so. Aber ich kann es natürlich genau wie ihr nicht ändern. Irgendwann ist es an der Zeit! Jeder muss einmal gehen.

Rufe im Trauern die verbindende Liebe ins Herz, um sie dann loszulassen.
Loszulassen, damit sie sich über Zeit und Raum hinaus ausweiten kann. *Helga Schäferling, (*1957)*

Ich umarme dich und ganz besonders auch (((Mutsch)))!

edit... meine Mama ist zu Hause, im Kreise ihrer Lieben von uns gegangen!
Das war uns und ihr sehr wichtig. Zum Glück hatten wir diese Möglichkeit.

Waldschratt - 14. Aug, 15:51

Als mein Vater auf der ITS lag habe ich den letzten Besuch bei ihm ziemlich rasch abgebrochen - ich mußte auf Arbeit und habe daran geglaubt, dass alles wieder gut wird! Er war ja in den besten Händen... Die Worte des Arztes ("Wir haben alles Menschnmögliche getan, jetzt muss die Natur eingreifen!") habe ich damals nicht verstanden - nicht verstehen wollen? Er wurde am Mittwoch operiert, wir waren vorher noch bei ihm, ich habe ihm versprochen mich um Mutsch zu kümmern wenn (WENN!) etwas passieren sollte, dann haben wir draussen gewartet. Die OP dauerte länger als geplant, dann kam er sofort auf die ITS, wo er am Samstag früh ohne wieder zu Bewußtsein zu gelangen verstarb. Ich mache mir heute noch Vorwürfe, dass ich nicht auf die Arbeit gepfiffen habe und bei ihm geblieben bin, denn inzwischen weiß ich, dass es etwas gibt, was auch im Koma reagiert - auf Nähe, Worte, Berührungen ... und vielleicht auch Gedanken?

Was das "Sterben in Würde" angeht... Es ist eine Facette der Industriegesellschaft, dass auch dieser Bereich commerzialisiert wird. Wie soll ein Mensch, der nicht in Würde leben konnte nun in Würde sterben? Inzwischen ist das "Armenbegräbnis" bereits wieder Bestandteil der Stadtordnung. Bei aller Aufopferung des Personals hier ist die Wahrung der Würde auf Grund der mehr als engen Personaldecke kaum möglich - die Schw. "stehlen" quasi anderen Patienten die Zeit, die sie mehr als vorgesehen mit Mutsch verbringen um sie zu streicheln, zu drücken oder zu beruhigen weil sie in ihren Reaktionen mehr und mehr ... sich dem kindlichen Stadium annähert... Es reicht doch, dass allein der Parkplatz unseres "Führers" (Wir gehören zur "Führer-Gruppe", Bernd Führer ist der "BigBoss") im Scala-Haus in Berlin monatlich € 2.800,-- (!) Miete kostet - das Geld muss erwirtschaftet werden! Mein, leider unbezahlbarer, Traum wäre es, Mutsch im

Leuchtfeuer
"Leuchtfeuer"


unterzubringen - oder selbst einmal dort zu sein wenn es soweit ist...

Nachsatz: Mein Vater wurde im gleichen Krankenhaus an der gleichen Krankheit ("Mitbewohner" im Darm...) operiert wie später ich, er lag auf der gleichen ITS wie ich, im gleichen Zimmer ist er gestorben... Ich bin nach mehr als 8 Jahren wieder "voll im Leben"... Wer weiß warum... Aber darüber hier zu schreiben würde eine Menge Spinner, Eiferer und Geiferer auf den Plan rufen. Ich weiß allerdings (Und das stelle ich hier jetzt einfach so hin!) dass ich Hilfe hatte von dort aus dem Koma wiederzuerwachen - und die war nicht nur apparatetechnischer Natur!
Hoshi - 14. Aug, 15:59

Ich denke, dass du es nicht unbedingt verstehen konntest... kann man in so einer Situation klare Gedanken fassen? Ich meine nicht! Wieso hat der Arzt nicht klar gesagt was Sache war?!? Die Vorwürfe hätte er verdient *tröst*
Hoshi - 14. Aug, 16:09

Ich habe mir die HP angesehen... schön klingt es... aber leider ist das ja wirklich kaum zu bezahlen. Nichts ist umsonst. Nicht mal der Tod! :-( Schade!
Waldschratt - 14. Aug, 20:35

Zitat

"Der Fortschritt der Medizin wird uns das Ende jener liberalen Zeit bescheren, da der Mensch noch sterben konnte, wann er wollte."

Stanislaw Jerzy Lec

1909 - 1966
poln. Lyriker und Aphoristiker
Hoshi - 14. Aug, 23:05

Sch...., das ist so wahr !! ((( MAIK )))
Chutzpe - 16. Aug, 20:01

Ich würde so gerne auch hier noch was sagen, doch ich kann grad nicht - so froh ich bin, dass mein Vater endlich tot bin, so traurig bin ich noch immer, dass er kein Vater war - denn wir hätten viele Gemeinsamkeiten gehabt.

Der Kaiser ist kein Zufall in meinem Leben, ein Stück weit ist er leider die Vaterfigur - und er weiss es auch.

Vielleicht kann ich das später nochmal in Ruhe lesen und darauf zurück kommen.

Eine Frau, die in der Pflege arbeitet, versucht gerade, hier in der Nähe einen Location zu übernehmen, um einerseits ein Sterbehospiz und andererseits eine Borderline-Station für Mädchen/Frauen auf der Basis Selbstversorger (soll einen geschützten Raum bieten, da sie selber Boderliner ist) aufzuziehen - falls das je gelingen sollte, werde ich dort ev. zu arbeiten anfangen - doch das ist nur ein Traum von mir - ob das wirklich jemals klappt, weiss ich halt auch nicht.

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